Die Erwärmung der Meere: Folgen und verantwortliches Handeln
Round-Table-Diskussion, moderiert durch Mag. (FH) Dieter Aigner, Geschäftsführer der Raiffeisen KAG mit den Expert:innen
Univ.-Prof. Dr. Leopold Haimberger, Institut für Meteorologie und Geophysik, Universität Wien
Mag.a Michaela Krömer, Rechtsanwältin mit Schwerpunkt Grund- und Menschenrechte, Klimakrise und Migration
Mag. Gabriel Panzenböck, Fondsmanager im Team Rates & FX, Raiffeisen Capital Management
Dr. DI Philipp Stadler, Head of CCU Team, Net Zero Emission Team, Rohrdorfer
„Der Meeresspiegel wird bedrohlich ansteigen – wir reden hier von mehreren Metern“
Leopold Haimberger
Dieter Aigner: Herr Professor Haimberger, der Klimawandel lässt sich nicht mehr leugnen: Überschwemmungen in vielen Teilen der Welt, zuletzt sogar in Afrika, und Hagelkörner in der Größe von Tennisbällen sind nicht mehr nur die Fiktion von Filmschaffenden, sondern auch bei uns in Österreich immer öfter bittere Realität. Als Meteorologe sind Sie hautnah mit dem immer offensichtlicher werdenden Klimawandel befasst. Welche Rolle spielen die Ozeane bei diesen Wetterkapriolen?
Leopold Haimberger: Die Rolle der Ozeane ist es, einen Ausgleich zwischen den tropischen Gebieten und den Polarregionen zu schaffen. Und sie sind – was ganz wesentlich ist – ein gewaltiger Energiespeicher. Aufgrund der hohen CO2-Konzentration auf der Erde haben wir einen Energieüberschuss. Das heißt, der Planet wird netto beheizt, und davon gehen mehr als 90 % der Energie in die Ozeane. Gäbe es die Ozeane nicht, dann wäre die globale Temperatur wahrscheinlich schon jetzt um ein Grad Celsius höher, als sie es derzeit ist. Weil die Ozeane eben die Energie speichern und sie in tiefere Schichten hinuntermischen. Das gilt für die Energie und die Erwärmung, aber natürlich auch für das Kohlendioxid selbst. Die Ozeane speichern ungefähr ein Viertel des zusätzlich emittierten Kohlendioxids. Und da sind wir auch schon beim Problem. Nämlich wenn sich die Ozeane weiter erwärmen, dann nimmt die CO2-Speicherfähigkeit der Meere ab. Wir können uns nicht darauf verlassen, dass die Ozeane weiterhin so ein effektiver CO2-Speicher bleiben. Was die Wetterkapriolen betrifft, lässt sich sagen, dass sich die Starkniederschlagsereignisse mit wärmeren Ozeanen weiter verstärken werden. Sie werden nicht unbedingt häufiger auftreten, aber wenn die Wetterlage für derartige Niederschläge passt, dann werden diese Ereignisse in sehr vielen Gebieten der Erde noch heftiger ausfallen.
Was wird passieren – und das scheint ja absehbar zu sein –, wenn es bei der Erwärmung nicht bei den zwei Grad bleibt, sondern wenn es drei oder vielleicht sogar vier Grad oder noch mehr werden?
Leopold Haimberger: Es ist immer die Rede davon, dass wir den CO2-Ausstoß senken. Tatsache ist aber, dass wir auf dem Weg sind, die zwei Grad zu überschreiten. Die radikalen Maßnahmen, von denen gesprochen wird, kommen nicht. Und wenn der CO2-Ausstoß weiter steigt, dann sind eben auch drei Grad und darüber nicht auszuschließen. Das bedeutet dann, dass der Meeresspiegel bedrohlich ansteigen wird – wir reden hier von mehreren Metern. Wobei man die richtigen Auswirkungen erst nach 2050 oder sogar nach 2100 sehen wird. Davon werden unglaublich viel Land und ein hoher Anteil der Weltbevölkerung betroffen sein. Das sollten wir nicht unterschätzen. Kurzfristig, in den nächsten 20 Jahren, betrifft uns das in Österreich noch nicht, und als Binnenland sowieso nicht. Aber der Meeresspiegelanstieg ist ein Riesenproblem.
In den Medien wird sehr oft über Kipppunkte gesprochen – worum geht es da?
Leopold Haimberger: Beispielsweise muss man befürchten, dass der Amazonas-Regenwald instabil wird, abbrennt und sich nicht regenerieren kann. Das betrifft auch Wälder in anderen Gegenden, wo es schon jetzt verstärkt zu Waldbränden kommt. Das ist natürlich ein Problem, weil die Wälder in Russland und in Kanada ebenfalls sehr viel CO2 einlagern.
Und wenn die Waldbrände weiter so zunehmen, dann wird dieser Effekt dadurch deutlich abgeschwächt. Die Ozeane können das Speichern von CO2 nicht alleine stemmen.
Frau Krömer, die sogenannten Schweizer Klimasenior:innen haben im April vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte recht bekommen, dass die Schweiz aufgrund zu lascher Klimaschutzmaßnahmen gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstößt. Mit diesen Klimaklagen sollen Europas Staaten zu stärkeren Maßnahmen gegen die Klimakrise gezwungen werden. Wie viel Gewicht hat dieses Urteil für den Klimaschutz?
Michaela Krömer: Wir sehen international eine Entwicklung, dass Klimaverfahren zunehmend positiv entschieden werden. Und da wir gerade über die Ozeane reden: Der internationale Seegerichtshof hat vor wenigen Wochen ein Gutachten erlassen, in dem Treibhausgase eine Verschmutzung nach der UN-Konvention darstellen. Somit sind neue Klagswege eröffnet worden. Wir erwarten auch andere Gutachten auf internationaler Ebene und in vielen Ländern sind Klimaklagen zunehmend erfolgreich. Das ist positiv und negativ zugleich, weil es zeigt, dass die Sachlage so gravierend ist, dass man hier tatsächlich juristisch eingreifen muss. Das Gericht hinkt ja oft hinterher und Gerichte sind mitunter zögerlich, im Sinne einer Gewaltenteilung einzuschreiten. Aber jetzt hat sich ein Raum aufgetan, weil sich die Staaten in einer absoluten Schockstarre befinden. An den Regulatorien ist erkennbar, dass sie sich noch in einer anderen Realität wähnen, als die Wissenschaft sie zeichnet.
Übernehmen die Gerichte die Aufgaben des Staates?
Michaela Krömer: Nein, Gerichte können nur dort eingreifen, wo Rechte verletzt werden. Jedoch werden sie durch die viel zu lasche Klimapolitik der Staaten zunehmend gefordert, einzuschreiten.Wenn man Herrn Haimberger zuhört und sich ausrechnet, dass bis 2100 noch 75 Jahre bleiben, dann ist klar, dass z. B. mein vier Monate alter Sohn eine um knapp 3 Grad erwärmte Welt mit all den gravierenden Folgen erleben kann. Hätten wir alle eine Lebenserwartung von 200 Jahren und wüssten, dass das alles auch auf uns persönlich zukommt, dann würden wir vermutlich mehr von der Politik einfordern. Und die Politik würde auch nicht mehr Angst davor haben, notwendige Maßnahmen zu treffen. Mit der Konsequenz, dass die Gerichte weniger einschreiten müssten.
Wie ist die Situation in Österreich? Gibt es bereits derartige Urteile?
Michaela Krömer: In Österreich ist es derzeit noch sehr schwierig, weil uns die Werkzeuge fehlen, sinnvoll Beschwerde zu erheben. Jüngste internationale Entwicklungen geben aber Hoffnung. Das Recht besteht grundsätzlich immer aus zwei Teilen: dem inhaltlichen Recht und der Möglichkeit, es geltend zu machen. Und in Österreich haben wir ein Rechtsschutzdefizit im Klimaschutzbereich. Wir bringen hier aus formellen Gründen die Tür zum Gerichtssaal nicht auf. Es ist jetzt erneut ein Verfahren von Kindern beim Verfassungsgerichtshof anhängig, das bald entschieden werden soll. Trotz der positiven Entscheidung der Schweizer Klimasenior:innen erwarte ich mir nicht, dass die österreichischen Gerichte bei den Kindern einen neuen, innovativen Weg einschlagen, da die Kinderrechte gesonderte Grundrechte sind. Seit drei Jahren ist auch beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein Verfahren gegen Österreich anhängig. Das wird, wie auch die Entscheidung des EGMR betreffend die Schweiz, mehr Dynamik reinbringen müssen. Dennoch sind diese positiven Gerichtsurteile nur ein Puzzlestein und nie die Lösung des Problems.
"Wir, die wir die Veränderungen wollen, müssen aufpassen, dass wir uns nicht permanent ablenken lassen und deshalb nicht so konsolidiert an die Sache herangehen, wie wir es könnten."
Michaela Krömer
Derzeit spürt die Klimabewegung auch Gegenwind, weil es immer vermeintlich wichtigere Themen gibt: Krieg am Rande Europas, wirtschaftliche Übermacht Chinas etc. Nehmen Sie das auch wahr?
Michaela Krömer: Ja, der Gegenwind ist spürbar. Die Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb hat es in einem gemeinsamen Gespräch einmal so ausgedrückt: „Das Monster wehrt sich noch, bevor es zum Erliegen kommt.“ Es ist leider eine reale Bedrohung. Man muss die Klimabewegung, die mittlerweile auf unterschiedlichen professionellen Gebieten stattfindet, ernster nehmen. Wir, die wir die Veränderungen wollen, müssen aufpassen, dass wir uns nicht permanent ablenken lassen und deshalb nicht so konsolidiert an die Sache herangehen, wie wir es könnten. Die „Gegenseite“ ist oft sehr gut organisiert. Da müssen wir dagegenhalten.
Es gibt mittlerweile sehr viele Menschen in unterschiedlichen Professionen mit dem Anliegen, die Transformation zu schaffen. Wir dürfen uns nicht einreden lassen, dass wir es nicht schaffen können.
Stichwort Transformation: Die Zementindustrie ist einer der ressourcenintensivsten Sektoren überhaupt, sie steht daher unter starkem Druck – auch seitens der Investoren, CO2-Emissionen zu reduzieren. Herr Stadler, was passiert hier schon?
Philipp Stadler: Als Vater von zwei Kindern mache auch ich mir Gedanken über die Zukunft und es motiviert mich, Änderungen herbeizuführen. Die Zementbranche ist derzeit für 7 % der CO2-Emissionen verantwortlich. Zement ist ein wichtiger Baustoff der Zukunft, hat aber eine CO2-Last von ca. 500 kg je Tonne. Ein großer Teil dieser Emissionen stammt aus dem Rohmaterial – dem Kalkstein –, diese Emissionen gelten gemeinhin als unvermeidbar.
Wie können wir dennoch die Emissionen auf Netto-Null bringen? Das ist eine große Herausforderung, aber es ist absolut machbar: Durch den Einsatz alternativer CO2-ärmerer Rohstoffe, durch Änderungen der Zementzusammensetzung und der Betone und durch den Fuel-Shift hin zu biogenen und erneuerbaren Brennstoffen können wir 60 % der Emissionen einsparen. Den Rest der unvermeidbaren Prozessemissionen werden wir mittels Carbon Capture Use und Storage auf null senken. Wir von Rohrdorfer setzen bereits jetzt die notwendigen Schritte, um diese Dekarbonisierung umzusetzen: Wir haben vor drei Jahren eine Carbon-Capture- und Utilization-Anlage in Betrieb genommen, wir entwickeln Verfahren zur Umwandlung von CO2 zu Chemikalien wie Ameisensäure und wir skalieren diese neuen Technologien in allen Bereichen. Zudem haben wir Projekte zur Effizienzsteigerung und CO2-Vermeidung gestartet, sodass wir bereits heute einen geringeren CO2-Fußabdruck erreichen als vor zehn Jahren. Unser Fahrplan sieht klar vor: Bis 2038 wollen wir Netto-Null sein, das heißt Zement und Baustoffe klimaneutral in hoher Qualität produzieren. Dafür geht Rohrdorfer proaktiv in das Thema hinein und hat alle Kompetenzen in den Net Zero Emission Labs gebündelt – hier arbeiten 25 Expertinnen und Experten am Thema CO2-Reduktion.
Netto-Null bis 2038 ist sehr ambitioniert, ist das zu schaffen?
Philipp Stadler: Ja, aber wir müssen noch eines ändern: Wir sind derzeit noch eine fossile Gesellschaft und nach wie vor abhängig von Erdöl und Erdgas, die nach Österreich importiert werden, um Energie zu gewinnen. Das müssen wir abdrehen und umstellen auf Erneuerbare. Dazu brauchen wir pragmatische Lösungen. Um das Klimaabkommen zu erfüllen, müssen wir uns auch für Technologien öffnen, die im Moment vielleicht noch skeptisch gesehen werden, wie zum Beispiel die CO2-Einspeicherung im Boden. Das müssen wir auch in Österreich möglich machen, weil wir ansonsten diese ambitionierten Ziele nicht erreichen können.
Das betrifft dann natürlich auch die Infrastruktur …
Philipp Stadler: Ja, wir müssen die Stromnetze ausbauen und den Ausbau der Erneuerbaren forcieren. Der zweite Punkt ist die Umstellung von Erdgas auf Wasserstoff. Dafür muss man Kapazitäten erweitern und gegebenenfalls neue Leitungen bauen. Wir brauchen CO2-Pipelines, um das Treibhausgas von den Emissionspunkten zu den Hubs zu transportieren, um es weiterzuverwenden oder in Speicherstätten einzulagern. Wenn diese Maßnahmen rasch umgesetzt werden, können wir CO2-neutral werden.
Ich möchte aber auch noch kurz etwas zu dem, was Frau Krömer und Herr Haimberger gesagt haben, ergänzen. Auch wir stellen fest, dass bei dem Thema oft auf Nebenschauplätze abgelenkt wird, die gar nicht relevant sind. Was wir brauchen, sind pragmatische Lösungen. Uns steht oft die Regulatorik im Weg. Wir setzen uns gerade auch dafür ein, CO2 als Wertstoff zu verwenden, es umzuwandeln, um daraus Dinge des täglichen Gebrauchs machen zu können. Damit können wir den Kohlenstoffkreislauf schließen und würden CO2-neutral werden. Aber diese Umwandlung ist derzeit seitens des Regulators nicht vorgesehen.
Manchmal kann man sich des Eindruckes nicht erwehren, dass Klimaregeln sehr schnell gemacht werden, aber das, was man zur Umsetzung braucht, politisch nicht zur Verfügung gestellt wird. In unserem Fall warten wir jetzt nicht länger ab, bis sich die Rechtslage ändert, sondern gehen davon aus, dass das Gesetz nachziehen wird.
Um den Bogen wieder zurück zu den Ozeanen zu spannen: Welche Rolle spielt die Erwärmung der Meere fürs Fondsmanagement?
Gabriel Panzenböck: Wir Kapitalmarktteilnehmer werden oft als Problem gesehen, als Teil dieses Monsters, von dem heute schon die Rede war. Aus ökonomischer Perspektive sind wir insgesamt im klassischen Gefangenendilemma: Wir haben das Problem, dass das CO2 global in die Atmosphäre getrieben wird, und gleichzeitig haben die einzelnen Länder wenige Anreize, etwas zu ändern, wenn die anderen nicht mittun. Auch die Investmentindustrie ist nur ein Teil der gesamten Lösung. Alleine – ohne die Politik – werden wir das genauso wenig stemmen können wie die Gerichte oder einzelne Industriebetriebe. Aber die Sachlage ist so evident, so krass, dass aus unserer Investorensicht klar ist, dass nur der regulatorische Druck, die regulatorische Veränderung in Entscheidungsprozessen dazu führen wird, dass Unternehmen, die bereit sind, etwas zu tun, innovativ in die richtige Richtung gehen, auch die besseren Investments sind.
Welche Branchen und Regionen sind von den Folgen der Klimakrise für die Ozeane betroffen?
Gabriel Panzenböck: Wenn einzelne Unternehmen versuchen, mit fossilem CO2 noch etwas zu verdienen, dann mag das im Jahr 2024 vielleicht noch durchgehen. Doch der Druck seitens der Öffentlichkeit, der Gesellschaft, unser Wirtschaftssystem stärker und schneller zu verändern, wird größer. Daher ist ein Investment für uns lukrativer, wenn wir in Unternehmen investieren, die sich früher und besser in Richtung Klimaschutz aufstellen. Und das zieht sich durch sehr viele Branchen durch. Denn der Klimawandel, das Ansteigen der Ozeane, betrifft sehr viele Bereiche, beispielsweise die Nahrungsmittelbranche, wenn es um das Thema Lebensmittelsicherheit geht. Oder wenn man es regional sieht und an die Migrationsströme denkt, wird das zu Veränderungen am Arbeitsmarkt führen. Unternehmungen, die da gut gerüstet sind und auf künftige Entwicklungen vorbereitet sind, werden besser performen als andere. Wir haben das Glück, dass uns der ökonomische Druck in diese Richtung trägt. Solar- und Windenergie sind mittlerweile die billigsten Energieformen und gleichzeitig auch CO2-frei. Das hilft uns weiter. Deshalb haben wir eine reale Chance, dass wir nicht nur in Europa, sondern auch in China bereits den größten Ausstoß an CO2 gesehen haben. Die Sachlage ist klar: Es müssen auch pragmatische Lösungen finanziert werden, aber die Transformation muss darstellbar sein: Was kann nachvollziehbar in realistischen Zeiträumen erreicht werden. Und es ist wichtig, dass mehr als weniger passiert.
Leopold Haimberger: China ist ein gutes Beispiel. Wir klagen, dass wir von billigen Solarmodulen aus China überschwemmt werden. Vor wenigen Jahren haben wir uns darüber beschwert, dass unsere PV-Anlagen zu teuer sind. China hat die Entscheidungen getroffen, Solar- und Windenergie massiv zu fördern. Unsere Regierungen sind gefordert, den hiesigen Unternehmen Bedingungen zu bieten, dass sie konkurrenzfähig sind und neue Wege gehen können. Die EU macht viel im internationalen Vergleich, aber man merkt jetzt, dass andere Länder noch schneller reagieren.
Gabriel Panzenböck: Man darf nicht vergessen, die europäische Solarindustrie, vor allem die deutsche, war einmal Weltmarktführer. Das war damals stark gefördert. Die gute Nachricht ist, dass der ökonomische Druck der technischen Innovation uns in die richtige Richtung der Energiesysteme drückt. Das sehen wir auch am Beispiel Elektromobilität. Hier zeigt sich die Interdependenz, dass man auch schauen muss, dass man bei der Steuerung von Innovation – und hier spielen die Staaten und die Demokratien eine große Rolle – die richtigen Anreize setzt, damit es in die richtige Richtung geht. Das hat ganz stark mit Regulatorik zu tun, die hier unglaublich wichtig ist. Es beginnt beispielsweise damit, wie verpflichtend es ist, dass man bei einem neuen Haus eine Solaranlage macht. Regulatorik hat eine enorme Bedeutung und was hier versäumt wird, können dann auch die Gerichte nicht mehr lösen.
Es beginnt beispielsweise damit, wie verpflichtend es ist, dass man bei einem neuen Haus eine Solaranlage macht. Regulatorik hat eine enorme Bedeutung und was hier versäumt wird, können dann auch die Gerichte nicht mehr lösen.
Welche Eckpfeiler braucht es, damit letztlich nicht alles bei Gericht landet?
Michaela Krömer: Es braucht – wie schon angesprochen – noch auf sehr vielen Ebenen Regulatorik. Neben dem Netzausbau gibt es da einige Dinge, die bereits in der Pipeline waren, beispielsweise das Erneuerbare-Wärme-Gesetz, das nicht in der Form gekommen ist, wie wir es gebraucht hätten. Seit Ewigkeiten reden wir von einem Klimaschutzgesetz, das Treibhausgasziele verankert hat und einen einklagbaren, soliden Maßnahmenkatalog vorsieht. Wir reden vom Aus für klimaschädliche Subventionen. Es gibt noch immer ganz viele Förderungen bei fossilen Energien und wir machen beispielsweise Gasexplorationen in Größenordnungen, die wir mit 30 Windrädern ebenfalls abdecken könnten. Auch die aufgeheizte Diskussion betreffend solide Windradprojekte ist teilweise absurd, ebenso wie der Widerstand gegen Carbon Capture and Storage.
Wie kommen wir zu mehr Geschwindigkeit bei diesen Forderungen?
Michaela Krömer: Derzeit ist es so, dass diese Forderungen zumeist von den „üblichen Verdächtigen“ kommen, die von der Politik leider nicht ernst genug genommen werden. Wir brauchen mehr Breite und Unternehmen, die mutig sind, öffentlich aufzutreten und diese Dinge einzufordern. Die zum Beispiel sagen: Wir bezahlen einen höheren CO2-Preis, gebt uns klare Verbote, aber reguliert uns nicht so stark, wir brauchen Raum für Innovation. Es ist wichtig, dass jetzt andere Player, neben Umweltorganisationen und NGOs, in diesen Diskurs einsteigen, damit der Druck größer wird. Wenn wir noch in den 1970er-Jahren wären, dann könnten wir an einem anderen Punkt beginnen. Aber wir sind im Jahr 2024 und haben enormen Zeitdruck. Wir müssen pragmatisch und schnell vorgehen und uns auch schneller anpassen. Denn in die Welt, wie wir sie gerne hätten, werden wir wohl nicht mehr zurückkommen.
Herr Stadler, erleben Sie Widerstand bei Ihrer Transformation?
Philipp Stadler: Ja, wir erleben diesen Widerstand und sehen im öffentlichen Diskurs eine sehr große Beharrlichkeit der Gesellschaft. Diese Widerstände sind teilweise von Zukunftsängsten getrieben. Das ist verständlich. Wenn wir CO2-Emissionen reduzieren wollen, müssen wir auf ein System der Erneuerbaren umstellen, den erneuerbaren Strom günstig machen und dem CO2 einen Preis geben. Dies führt zu einer raschen Umstellung von Industrie und Gesellschaft auf klimaneutrale Prozesse, so wie wir sie bereits jetzt bei Rohrdorfer implementieren. Ich bin Optimist – wir werden diese Umstellung schaffen und wir brauchen bis dahin einen guten Pragmatismus, der uns allen sehr viel abverlangt. Die Industrie ist bereit, diesen Weg zu gehen. Hier stehen auch Menschen dahinter, die Kinder haben und die wollen, dass die Kinder in einer guten Welt aufwachsen. Wir sind bereit, diese Dekarbonisierung zu machen und netto null zu produzieren.
Leopold Haimberger: Wir müssen fokussiert bleiben und wo immer es geht CO2 einsparen. Das Auto stehen lassen und mit der Bahn fahren. Das klingt banal, aber jeder kleinste Beitrag zählt und hilft, unseren Planeten für unsere Kinder und Enkelkinder zu erhalten.
Gabriel Panzenböck: Veränderung wird passieren, das ist klar. Vor 30 Jahren wäre vieles einfacher im System zu ändern gewesen. Aber wir können auch heute noch Änderungen vornehmen. Es geht vieles in die richtige Richtung, wenn auch vielleicht nicht mit der Geschwindigkeit, wie wir sie uns wünschen. Es gab immer die Vision, dass unsere Rettung in der Technik liegt. Und ich glaube, die Technik wird uns tatsächlich retten. Es werden keine fliegenden Atomautos sein, sondern Windräder, Batterien und PV-Anlagen. Aber diese drei Entwicklungen sind billig genug und technologisch so ausgereift, dass wir von jetzt weg noch die Chance auf jenes von Professor Haimberger angesprochene Szenario haben, bei dem wir eventuell mit einem blauen Auge davonkommen, und nicht das Szenario erleben werden, bei dem der Meeresspiegel gleich um einige Meter ansteigen wird.