Gleich und doch nicht gleich
Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung ist weiblich, doch das spiegelt sich in der Besetzung von Spitzenpositionen in der Wirtschaft bei weitem nicht wider. Im Gegenteil herrscht hier ein deutliches Ungleichgewicht. Laut World Economic Forum* liegt die Kluft bei der wirtschaftlichen Beteiligung von Frauen und der Chancengleichheit bei 42 %. Legt man die aktuelle Veränderungsgeschwindigkeit, mit der sich der Abstand zuletzt reduziert hat, zugrunde, würde es weitere 267 Jahre dauern, bis er beseitigt ist. Österreich schneidet bei diesem Subindex des Global Gender Gap Index als 88. Land (von 156) geradezu katastrophal ab.
Ein offensichtlicher Grund für dieses Abschneiden ist die Unterrepräsentation von Frauen in den höchsten Funktionen österreichischer Unternehmen. Der Austrian Traded Index (ATX) enthält als wichtigster Index der Wiener Börse 20 Unternehmen, von denen nur zwei weibliche Vorstandsvorsitzende (VIG und CA Immo) und 15 Gesellschaften gar keine Frauen im Vorstand verzeichnen. Beim Wiener Börse Index (WBI), der mit 60 Unternehmen alle an der Wiener Börse amtlich gehandelten Unternehmen enthält, kommt lediglich eine weitere Vorsitzende dazu (BKS Bank). Damit liegt Österreich innerhalb Europas an vorletzter Stelle. Die Frage nach einer gesetzlichen Mindestquote zur Repräsentation von Frauen in Leitungsfunktionen drängt sich hier geradezu auf.
Welche Maßnahmen zur Förderung der faktischen Gleichstellung von Frauen und Männern gibt es aber bereits? Unterscheiden muss man zwischen den großen Maßnahmen von Regierungen und internationalen Organisationen und den Maßnahmen im Kleinen, die, konsequent zu Ende gedacht, in einen Kulturwandel münden müssen.
Beispiele für internationale und nationale Beschlüsse und Rahmengesetzgebung:
Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE): Beschluss Nr. 638 OSZE-Aktionsplan 2004 zur Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern
Europäische Union: Strategie für die Gleichstellung der Geschlechter 2020–2025 der EU-Kommission
Republik Österreich: Gemäß Artikel 7 Absatz 2 Bundes-Verfassungsgesetz bekennen sich Bund, Länder und Gemeinden zur tatsächlichen Gleichstellung von Mann und Frau
Für die Europäische Union hat das Thema eine so hohe Bedeutung, dass sie bereits im Jahr 2006 eine eigene Agentur, das Europäische Institut für Gleichstellungsfragen (EIGE), gegründet hat. Das Institut soll die Institutionen und Mitgliedsstaaten dabei unterstützen, die Gleichstellung der Geschlechter zu verwirklichen. EIGE ist dabei Vorreiter in der Entwicklung zuverlässiger Erkenntnisse, indem es Wissen sammelt und bereitstellt sowie nützliche Erfahrungen und Fachwissen austauscht.
Beispiele für konkrete Maßnahmen zur Förderung von Frauen im Wirtschaftsleben:
Diskriminierungsfreie Bewertung von Arbeit, d. h. Geschlechterklischees bei der Berufswahl entgegenwirken. Zum Beispiel sind MINT-Studien zukunftsträchtig und gut bezahlte Jobs folgen
Aus- und Finanzbildung fördern. Das reduziert in weiterer Folge auch den Nachteil bei der Pensionsvorsorge
Flächendeckende Kinderbetreuung, auch in ländlichen Gebieten
Vereinbarkeit von Beruf und Familie und damit bessere Karriere- und Verdienstmöglichkeiten für Frauen. Teilzeitarbeit ist erwiesenermaßen ein Karrierehemmer – nur weniger als 10 % der Führungskräfte sind Teilzeitkräfte
Geschlechterneutrale Einstellungs- und Bewerbungsprozesse
Key Performance Indicators für das Management, die Geschlechtergleichstellung im Fokus haben
Gehaltstransparenz, um das Gehalt besser verhandeln zu können und zu sehen, wie weit das Unternehmen bei der Geschlechtergleichstellung ist. Interessant ist in diesem Zusammenhang eine Studie von Zoë Cullen, die belegt, dass durch die Offenlegung die Gehälter insgesamt sinken
Frauen als Vorbilder und Mentoren
Mediengestaltung, weil insbesondere Sprache und Bilder als Schlüssel dienen können
Meinungs- und Einstellungsbildung bereits im frühen Alter durch geschulte Pädagogen
Und zu guter Letzt die verpflichtende Quote in Leitungsfunktionen
Die Gleichstellung von Frauen in Unternehmen, auch in höheren Positionen, sollten die Unternehmen aus ganz pragmatischen Gründen anstreben. Eine ausgewogene Besetzung wirkt sich positiv auf den Führungsstil und die Gruppendynamik aus, wie in einer norwegischen Untersuchung festgestellt wurde. Außerdem berichten diverse Studien immer wieder, dass Unternehmen mit gemischten Führungsteams erfolgreicher sind. Als Beispiel sei hier die Arbeit der Boston Consulting Group aus dem Jahr 2020 genannt. Kritisch soll an dieser Stelle angemerkt werden, dass sich solche Aussagen de facto nicht beweisen lassen.
Fazit
Die Geschlechterungleichheit ist in den letzten Jahren deutlich mehr in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. Einiges wurde bereits in die Wege geleitet, aber vieles, insbesondere die Veränderung im Mindset (im Sinne der Geisteshaltung), liegt noch vor uns.
Und falls es Sie interessiert, ob Sie noch Vorurteile bezüglich der Gleichstellung von Frauen am Arbeitsplatz haben, schauen Sie sich doch das YouTube-Video „International Women’s Day – Can You Solve the Riddle? (Mindspace)“ vom 5.3.2020 an.
*) Erläuterungen und Quellen:
World Economic Forum: Global Gender Gap Report 2021
MINT steht für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik.
Cullen, Zoë B., and Bobak Pakzad-Hurson: Equilibrium Effects of Pay Transparency. NBER Working Paper Series, No. 28903, June 2021. (Revise and Resubmit at Econometrica).