„Beim Einschätzen von Risiken gehen die Kenntnisse weit auseinander“
Interview vom 25.06.2024 in DAS INVESTMENT
DAS INVESTMENT: Welchen Ausblick bieten die Kapitalmärkte für das zweite Halbjahr?
Karin Kunrath: Politische Faktoren werden weiterhin für die größte Unsicherheit sorgen. Insbesondere der Konflikt zwischen China und den USA sowie die bevorstehende US-Präsidentschaftswahl haben das Potenzial, die Kapitalmärkte negativ zu beeinflussen, zumindest kurzfristig. Insgesamt überwiegen unserer Einschätzung nach aber die Chancen, vor allem bei den Aktien.
Das heißt, auch wenn die Rahmenbedingungen etwas ungünstiger werden könnten, ändert das nichts an den positiven Aussichten. Eine sorgfältige Titelselektion bleibt aber weiterhin der Schlüssel für eine erfolgreiche Anlage, und das betrifft nicht nur die Aktien-, sondern auch die Anleihenseite. Auch Mischfonds bieten im aktuellen Marktumfeld wieder eine interessante Alternative, je nach Risikoneigung mit entsprechendem Rendite-Risiko-Profil.
Die früheren Absatzerfolge nachhaltiger Investments verblassen. Wie fällt Ihre Perspektive auf verantwortungsvolle Anlagestrategien aktuell aus?
Kunrath: ESG-Strategien zählen mittlerweile zu den wichtigsten Kompetenzen im Portfolio eines Asset Managers. Die Finanzwirtschaft, das steht außer Frage, ist eine der zentralen Säulen des Green Deals der Europäischen Union. Hier werden Kapitalflüsse gesteuert, hier werden Projekte finanziert oder eben nicht finanziert. Als Investmenthaus sind wir darüber hinaus überzeugt davon, dass verantwortungsvolles Investieren auch auf die Qualität der Produkte einzahlt. Kurz gesagt, ja – die Bedeutung von verantwortungsvollem Investieren wird weiter zunehmen – vor allem für die Gesellschaft.
Wann haben Sie selbst begonnen, sich für Kapitalmärkte zu interessieren?
Kunrath: Bereits mit 15 Jahren war mein Interesse für die Kapitalmärkte sehr stark, so dass ich im Unterrichtsfach Volkswirtschaftslehre wöchentlich – anhand von Artikeln renommierter Tageszeitungen – über die Marktentwicklung berichtet habe. Bei den Job-Angeboten nach meinem Abitur habe ich mich für jene Position entschieden, die einen Bezug zum Asset Management hatte, obwohl diese damals am geringsten dotiert war.
Mit Start meiner Berufslaufbahn 1992 als Assistentin im Portfoliomanagement habe ich ein berufsbegleitendes Studium der Handelswissenschaften an der Wirtschaftsuniversität Wien begonnen. Mir war immer wichtig, neben den theoretischen Aspekten des Studiums die praktische Anwendung zu erleben sowie Theorie und Praxis damit in den richtigen Kontext zu setzen. Meine Erkenntnis daraus: Nicht alles, was man im Studium lernt, hilft in der Praxis tatsächlich weiter. Mit der Wahl dieses herausfordernden Wegs bin ich meinen Zielen, mit spätestens 25 Jahren Fondsmanagerin zu werden und in der Folge eine Führungsposition zu übernehmen, rasch nähergekommen.
Haben Ihnen Vorbilder geholfen?
Kunrath: Vorbilder aus der Asset-Management-Branche hatte und habe ich nicht. Ich habe immer danach getrachtet, meinen Weg zu gehen und dabei mich selbst, meine Werte und meine Überzeugungen nicht zu verlieren. Es freut mich sehr, in der Branche inzwischen mehr Frauen in verantwortungsvollen Positionen als etwa vor 20 bis 30 Jahren zu sehen.
Frauen und Finanzen
Es ist höchste Zeit für mehr Gerechtigkeit zwischen Frau und Mann! Erfahren Sie mehr, wie Frauen ihre finanzielle Vorsorge selbst in die Hand nehmen können.
Dennoch haben in der Finanzindustrie meist Männer die Führungspositionen inne. Wie kann sich dies ändern?
Kunrath: Der Frauenanteil im Fondsmanagement von Raiffeisen Capital Management liegt aktuell bei 24 Prozent. Uns ist es ein großes Anliegen, Frauen in diesem Bereich weiter zu fördern. Wir bieten daher bei der Besetzung von freien Positionen und gleicher Qualifikation Frauen die Stelle an. Darüber hinaus fördern wir aber auch die berufliche Weiterentwicklung von Frauen. Das geschieht etwa in Hinblick auf Führungspositionen in Form von Weiterbildungsmaßnahmen.
Frauen sind auch beim Investieren in der Minderheit. Woran liegt das?
Kunrath: Wir haben im vergangenen Jahr dazu eine Studie in Auftrag gegeben, die zeigt, dass sich Frauen in punkto Familienbudget durchaus für sehr kompetent halten und dafür auch oft die Verantwortung übernehmen. Wenn es aber um die Anlage des eigenen Vermögens oder die eigene Vorsorge geht, dann beginnt bei Frauen sehr oft die Verunsicherung. Im Unterschied zu Männern, fühlen sie sich weniger kompetent und meiden daher riskantere Investments wie Aktien oder Investmentfonds.
Hinzu kommt, dass sie insgesamt weniger liquide sind – also oft weniger Geld zur Verfügung haben als Männer. Verluste können sie sich daher schlicht nicht in gleicher Form leisten. Auch das ist ein Grund, warum Frauen zu den sichereren Anlageprodukten greifen und dabei oft mögliche Erträge liegen lassen. So geht die Kluft bei den Vermögen von Frauen und Männern immer weiter auseinander. Dort wollen wir mit Informationen und der Vermittlung von Finanzwissen gegensteuern.
Wie bringen Sie das an die Frau?
Kunrath: Wir veranstalten Events für Frauen und informieren über die zahlreichen Möglichkeiten an den Kapitalmärkten zu investieren. Kapitalmarktinvestments sind ja grundsätzlich schon ab 50 Euro monatlich möglich. Raiffeisen Capital Management hat schon im vergangenen Jahr gemeinsam mit den Raiffeisenbanken in Österreich viele Veranstaltungen speziell für Kundinnen durchgeführt und mit Frauennetzwerken kooperiert.
Wenn man Frauen gezielt anspricht, sind sie sehr offen für das Thema und werden im Nachgang auch sehr rasch aktiv. Bei diesen Veranstaltungen stellen wir fest, dass Frauen das angenehme Gesprächsklima innerhalb der eigenen Peergroup schätzen. Nicht wenige, haben sich bereits davor schon mit dem Gedanken befasst, an den Kapitalmärkten zu investieren. Im Rahmen dieser Events kann man noch gezielter offene Fragen und auch Bedenken diskutieren.
Ist das Finanzwissen bei Frauen tatsächlich geringer?
Kunrath: In vergangenen Studien haben wir die Eigeneinschätzung abgefragt. Das haben wir auch diesmal getan. Darüber hinaus haben wir diesmal aber auch konkrete Fragen zum Finanzwissen gestellt, um diese Selbsteinschätzung zu überprüfen. Bei der Einschätzung des eigenen Wissens zum Thema Aktien, Anleihen und Fonds sehen sich Frauen auf einer Skala von 1 bis 5 im Durchschnitt bei 3,7, Männer hingegen bei 3,1.
Das Finanzwissen der befragten Frauen war tatsächlich geringer als das der Männer. Speziell wenn es um die Bewertung von Risiken ging, klafften die Kenntnisse deutlich auseinander: Bei der Frage, ob eine Anlage in Aktien eines einzelnen Unternehmens riskanter sei als die Anlage in einen Fonds mit Aktien ähnlicher Unternehmen, haben dies nur 54 Prozent der Frauen richtig beantwortet, aber bei den Männern 73 Prozent.
Schafft Finanzwissen Unabhängigkeit?
Kunrath: Finanzbildung ist sicherlich ein großes Thema – Wissen ermächtigt. Wir sehen, dass es in Bezug auf Kapitalmärkte noch große Wissenslücken bei den Frauen gibt und dadurch auch Berührungsängste. Wir nehmen das als klaren Auftrag, Frauen noch besser zu unterstützen, unser Wissen weiterzugeben und die Möglichkeiten der Finanzmärkte noch stärker an Frauen zu vermitteln. So können wir dazu beitragen, die Kluft zwischen den Vermögen von Frauen und Männern zu schließen und Frauen auch unabhängiger zu machen.
Mangelnde Liquidität ist für viele Frauen wie gesagt ein großes Thema. Mit einem Fondssparplan können sie bereits ab einer monatlichen Summe von 50 Euro mit einer breiten Streuung am Kapitalmarkt investieren. Die Auswahl an Fonds ist sehr groß, sodass es zu den individuellen Anlagewünschen in den allermeisten Fällen auch ein passendes Fondsprodukt gibt.