Des einen Leid …
Hohe Inflation und rasante Zinsanhebungen vieler Notenbanken führten 2021/2022 zu einem der kräftigsten und schnellsten Kursrückgänge an den Anleihemärkten, die es je gegeben hat. Bei risikoreicheren Emittenten (Schwellenländer, Euro-Peripherieländer, Unternehmensanleihen) kamen zum allgemeinen Renditeanstieg noch ausgeweitete Renditeaufschläge. Die enormen Kursrückgänge sind für bereits investierte Anleger:innen schmerzhaft. Je nachdem, wie lange diese die Anleihen halten, und in welche Anleihen sie investiert haben, ist ein mehr oder minder großer Teil der Erträge der letzten Jahre durch die Kursrückgänge schon aufgebraucht.
… des andern Freud
Aber die starken Renditeanstiege haben eine (sehr) positive Kehrseite: Wer jetzt kauft, erhält Renditen, wie sie es schon sehr lange nicht mehr gab – zumindest auf der nominellen Ebene. Real, also unter Einrechnung der Inflation, gilt diese Aussage nur eingeschränkt. Nominell rentieren deutsche Bundesanleihen, quasi der „Goldstandard“ der Eurozone, bei 2,6 % bis 3,3 % und damit so hoch wie seit über 10 Jahren nicht mehr.
Unternehmensanleihen: mehr Ertrag, aber auch mehr Risiko
Noch mehr Rendite bringen Unternehmensanleihen, da bei diesen noch die Renditeaufschläge (als Kompensation für höhere Ausfallsrisiken, geringere Liquidität etc.) dazu kommen. So lassen sich aktuell für sehr gute Bonitäten (Investmentgrade) je nach Laufzeit um die 4,5 % p.a. Rendite erzielen (pünktliche und vollständige Tilgung vorausgesetzt). Bei High-Yield-Anleihen sind gar um die 7 % p.a. Rendite und mehr möglich, allerdings sind diese dann verbunden mit deutlich höheren Risiken von Zahlungsverzug oder gar Ausfall. Von solchen Nominalrenditen konnte man im letzten Jahrzehnt nur träumen.
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Inflation zehrt Erträge auf?
Nun kann man zu Recht einwenden, dass 4 % oder 7 % Rendite gut und schön sind, aber dass man bei 9 % Inflation nicht einmal oder gerade eben so die Kaufkraft des Anlagekapitals erhält. Das ist zunächst völlig richtig. Aber: Die Alternativen dazu sind aktuell entweder noch geringere Erträge (Bargeld, Sparbuch) oder aber weitaus riskantere Investments (z. B. Aktien oder Fremdwährungsanleihen). Zum anderen ist es sehr unwahrscheinlich, dass die aktuellen, sehr hohen Inflationsraten über die gesamte Laufzeit der Anleihen Bestand haben werden. Aus Sicht mehrerer Jahre kann man daher, insgesamt betrachtet, sehr wohl auf signifikante positive Erträge hoffen, auch nach Abzug der dann bestehenden Inflation. Eine Garantie gibt es dafür aber selbstverständlich nicht.
Renditeanstieg vor dem Ende?
Könnte man mit dem Kauf noch abwarten, bis die Inflation wieder deutlich zurückfällt? Das kann man zweifellos tun. Doch wenn die Inflation für alle sichtbar nachhaltig zurückgeht, werden dies auch die Kurse auf den Anleihemärkten längst realisiert haben. Diese versuchen laufend abzuschätzen, wann der Inflationsanstieg, und damit auch die Zinsanhebungen der Notenbanken, vor ihrem Ende stehen. Wer jetzt kauft, tut dies also mit dem Risiko, zu früh zu handeln, und noch weitere Renditeanstiege (d. h. Kursrückgänge) in Kauf zu nehmen. Wer wartet, riskiert, dass er später nur noch deutlich niedrigere Renditen erhält.
Renditevorsprung von Unternehmensanleihen schrumpft
Bei Unternehmensanleihen kommt, wie bereits erwähnt, der zusätzliche Renditeaufschlag gegenüber Staatsanleihen der Euro-Kernländer hinzu, was einen großen Teil die Attraktivität dieser Anleihen ausmacht. Diese Renditeaufschläge haben sich in den letzten Monaten stark verringert, nachdem konjunkturelle Negativszenarien in Europa ausgepreist wurden und sich viele Unternehmen wirtschaftlich besser entwickelten als vermutet. Im Gegenzug ist das Risiko für Kursrückschläge gewachsen, falls sich das wirtschaftliche Umfeld und die Finanzierungskonditionen schlechter entwickeln als derzeit vom Markt gepreist.
Fundamentale Situation weiterhin gut
Ca. 1,6 % p.a. gibt es zusätzlich für Investmentgrade-Anleihen, ca. 4 bis 5 % p.a. für High-Yield-Anleihen. Diese Renditeaufschläge werden von vielen unterschiedlichen Faktoren beeinflusst. Zu den wichtigsten gehören die Ausfallsrisiken (Bonität) der jeweiligen Anleihe bzw. des Emittenten, die allgemeine Liquiditätsversorgung (diese ist rückläufig und wird es auch vorerst bleiben) sowie das Risikosentiment am Markt (dieses ist derzeit schlecht). Fundamental ist die aktuelle Situation noch sehr gut. Es gibt so gut wie keine Ausfälle und die meisten Unternehmen haben die letzten Jahre extrem niedriger Zinsen gut genutzt, um ihre Verschuldung abzubauen, Liquidität zu schaffen und die Laufzeiten ihrer Schulden zu verlängern.
Höhere oder niedrigere Bonitäten?
Je höher die Qualität einer Anleihe und eines Emittenten, umso geringer ist im Regelfall der Renditeaufschlag. Konjunktur, Fiskalmaßnahmen und die Geldpolitik der Notenbanken sowie die Ausfallsrisiken ändern sich aber ständig. Es gibt daher keine goldene Regel, wann eher schlechtere Qualitäten mit höherer Rendite zu bevorzugen sind, oder wann besseren Qualitäten mit niedrigeren Renditen der Vorzug zu geben ist. Hinzu kommt, keineswegs unwichtig, dass das Zinsänderungsrisiko im High-Yield-Segment deutlich geringer ist als bei Investmentgrade-Unternehmensanleihen. Die höhere Ausfallsicherheit von Investmentgrade-Anleihen geht also – auf Gesamtmarktebene – tendenziell mit einem höheren Risiko von Kursrückgängen bei allgemeinen Zinsanstiegen einher.
Derzeit sehen die Investmentspezialisten der Raiffeisen KAG bei Unternehmensanleihen die schlechteren Qualitäten im Verhältnis zu den (Ausfalls-)Risiken und Unwägbarkeiten (Rezessionsrisiken, Energiekrise, Geopolitik etc.) eher als zu teuer an und bevorzugen weiterhin die qualitativ besseren Anleihen bzw. Emittenten.
Fazit
Das Renditeumfeld hat sich nominal für Unternehmensanleihen in diesem Jahr sehr stark verbessert. Es gibt wieder Renditen am Markt, die schon sehr lange nicht mehr erzielbar waren. Die aktuell hohe Inflation mindert den realen Ertrag natürlich (noch) sehr stark, sie ist aber zugleich auch einer der Gründe für den Anstieg der Nominalrenditen. Rezessionsrisiken, Energiekrise und Geopolitik stellen zugleich große Herausforderungen für Gewinne und Cashflows der Unternehmen dar, was sich aber in großen Teilen auch schon in den gestiegenen Renditeaufschlägen für Unternehmensanleihen widerspiegelt.
Der Kaufzeitpunkt wäre aktuell daher wohl so günstig wie seit vielen Jahren nicht. Das Risiko noch weiterer Kursrückgänge und anhaltend hoher Kursschwankungen ist aber zweifellos gegeben. Auf Sicht der kommenden 5 bis 10 Jahre stellt sich das Ertrags-Risiko-Profil insgesamt aber recht gut dar, besonders im Vergleich zu den weniger riskanten Anleihe-Alternativen (Bargeld, Staatsanleihen der Euro-Kernländer).