Im Zuge dieser Engagement-Aktivitäten wurden weltweit rund 50 Unternehmen kritisch zu ihrer Haltung zur Atomenergie befragt:
Welche Rolle wird Atomkraft in Ihrem Energiemix mittel- bis langfristig spielen? Sehen Sie Atomenergie als Zukunftstechnologie, oder werden Sie diese vermehrt durch andere Energiearten substituieren? Wenn ja, was sehen Sie als wirtschaftlich und ökologisch als beste Alternativen an?
Atomkraft, nein danke, oder doch eine nachhaltige Energiequelle? Nicht nur in der Gesellschaft werden viele verschiedene Positionen vertreten, auch die Produzenten von Atomenergie gehen in ihren strategischen Management-Entscheidungen ganz unterschiedliche Wege. In Anbetracht der Energiekrise haben sich viele Unternehmen für den Abbruch oder gar den Boykott des geplanten Atomausstiegs in Deutschland ausgesprochen. Die deutsche Regierung hält dennoch an diesem Plan fest. Einer der Gründe dafür ist, dass Erzeuger von Atomenergie bereits seit 2008 den bis 2022 durchgeführten Ausstieg geplant hatten.
Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) hat nach eigenen Angaben frühzeitig auf den Beschluss mit einer umfassenden Rückbaustrategie reagiert, die von der Tochtergesellschaft EnBW Kernkraft konsequent umgesetzt wird. Aufgrund der angespannten Situation am Energiemarkt und einer weiteren Novelle des deutschen Atomgesetzes ist EnBW in der Lage, ihre verbleibenden drei Atomkraftwerke bis zum 15. April 2023 zu betreiben.
Dabei ist jedoch der Einsatz von neuen Kernbrennstäben nicht erlaubt. Somit wird EnBW ab Mitte April 2023 keine Atomenergie mehr erzeugen. Um bis 2035 energieneutral zu sein, wird das Unternehmen die vorhandenen Kohlekraftwerke durch Gasanlagen ersetzen, vermehrt in Wasserstofflösungen investieren und bis 2025 die Hälfte seiner Energie erneuerbar erzeugen. Die Windparkleistung wird bis 2025 auf 4 GW verdoppelt und für Fotovoltaik ist ebenfalls ein starkes Wachstum geplant.
Anders sieht die Strategie beim weltweit größten Nuklearproduzenten aus. Für die Électricité de France (EDF) ist Atomenergie mit 78 % der Umsätze das Hauptgeschäft des Konzerns. EDF sieht den Ausbau von erneuerbarer Energie als mögliche Kompensation für Kohlestrom und plant, bis 2030 eine Nettokapazität von 60 GW zu erreichen.
Die Schwierigkeit der Endlagerung und Sicherheitsrisiken sind starke Argumente gegen Atomkraft, doch auch aus wirtschaftlicher Sicht ist Atomenergie vergleichsweise eine sehr teure Technologie. So möchte sich der spanische Energieversorger Iberdrola ab 2027 aus dem Atomenergiegeschäft zurückziehen und seine Beteiligungen an Anlagen verkaufen. Für Iberdrola ist Atomenergie im Vergleich zu erneuerbaren Energieträgern ein kostenintensives Geschäft.
Deshalb werden Neuinvestitionen des Unternehmens je zur Hälfte in erneuerbare Energie und in Netzstabilität vorgenommen. Einer der wichtigsten Gründe für die aktuelle Aufrechterhaltung der Atomanlagen ist ein laufender Vertrag mit der spanischen Regierung, der die Versorgungssicherheit im Land garantieren soll. Aus rein wirtschaftlicher Sicht ist Atomenergie für Iberdrola langfristig nicht zukunftsfähig.
Was ist Ihre Strategie in Bezug auf die Endlagerung des radioaktiven Abfalls? Wie gewährleisten Sie geringe Schäden an Menschen und Umwelt für zukünftige Generationen ?
Die Endlagerung von radioaktiven Abfällen ist eine der großen Herausforderung dieser Energiequelle. Es ist wichtig, eine sichere und dauerhafte Lösung zu finden, um zukünftige Generationen vor potenziellen Gefahren zu schützen. Eine umfassende Strategie für die Endlagerung sollte eine gründliche Risikoanalyse, eine sorgfältige Standortauswahl und zureichende Überwachungssysteme beinhalten, um zu garantieren, dass die radioaktiven Abfälle verantwortungsvoll gelagert werden. Trotz intensiver Investitionen und Forschung bleibt die Endlagerung von Atomabfällen ein kontroverses Thema. Denn radioaktiver Abfall benötigt 100.000 Jahre, bis er für Mensch und Umwelt keine Gefahr darstellt. Es bedarf somit Endlager, die auch allen möglichen zukünftigen Naturkatastrophen standhalten.
Das im Dow Jones gelistete Unternehmen Southern Company setzt als kurzfristige Lösung auf Trockenbehälter. In diesen Anlagen können abgebrannte Brennelemente während der gesamten Lebensdauer der einzelnen Kraftwerke gelagert werden. Für langfristige Endlagerlösungen sieht die Southern Company die Verantwortung bei dem amerikanischen Department of Energy (DOE), das aber bis dato noch keine Lösung für die entsprechende Endlagerung des radioaktiven Materials gefunden hat.
Für das ebenfalls US-amerikanische Unternehmen Entergy stellen sich ähnliche Herausforderungen. Auch Entergy ist auf Trockenlagerung unmittelbar bei den Anlagen angewiesen, denn die Becken der Brennelemente haben in allen vier Kernkraftwerken ihre Kapazität erreicht. Entergy sieht ebenfalls das DOE in der Verantwortung, so gibt es beispielsweise keine Genehmigung seitens der staatlichen Behörden für den Bau eines Endlagers in den Yucca Mountains.
Wie sehen Sie die Entscheidung der EU-Taxonomie, auch Atomkraft als nachhaltig einzustufen?
Im Jänner 2022 hat die EU beschlossen, im Zuge der Taxonomie auch Atomkraft als nachhaltig für Investoren zu klassifizieren. In Österreich herrscht der Konsens, dass die negativen Konsequenzen der Atomenergie eindeutig den Vorteil der geringen CO2-Emissionen überwiegen.
Die spanische Endesa steht der EU-Taxonomie kritisch gegenüber. Die Verordnung schließt nukleare Erzeugungsaktivitäten bestehender Anlagen, die keine Laufzeitverlängerung beantragt haben, aus. Das betrifft jedoch den überwiegenden Anteil der aktuell bestehenden nuklearen Anlagen. Aus diesem Grund ist für Endesa die Förderwürdigkeit dieser Atomkraftwerke nicht gegeben, was das Unternehmen bedauert.
Rund um den Ukrainekonflikt war das Atomkraftwerk in Saporischschja immer wieder in den Medien. Wie garantieren Sie Netzstabilität und allgemein die Sicherheit von Atomkraftwerken in Bezug auf negative Einflüsse, wie beispielsweise Naturkatastrophen oder kriegerische Auseinandersetzungen?
Atomkraftwerke sind durch die allgegenwärtigen Sicherheitsrisiken umstritten. Die von Anlagen ausgehende Gefahr steht immer wieder zur Debatte und verpflichtet Energieerzeuger, ein modernes Gefahrenmanagement und kostenintensive Sicherheitsstandards zu gewährleisten. Besonders das Atomkraftwerk in Saporischschja hat im letzten Jahr die Frage nach der Vereinbarkeit von Sicherheit und Kernkraftanlagen aufgeworfen. Des Weiteren werden durch Naturkatastrophen immer mehr die Limits der Sicherheitsvorkehrungen der Anlagen getestet.
Nur 50 km von der österreichischen Grenze entfernt liegt das Atomkraftwerk Temelín. Daher sind die Sicherheitsstandards dieser Anlage auch für Österreich von großer Bedeutung. Der größte Stromproduzent Tschechiens CEZ ist Betreiber des Kraftwerkes und somit für die Sicherheit verantwortlich. Die Atomkraftwerke von CEZ wurden einer Reihe von Stresstests unterzogen, die unter anderem auch extreme Natureinflüsse simulieren sollten. Auf der Grundlage der Erfahrungen und Lehren aus dem Unfall im Kernkraftwerk Fukushima wurden weitere spezifische Anforderungen ermittelt, um die Sicherheit der Kernkraftwerke weiter zu erhöhen. CEZ arbeitet permanent an Verbesserungen der Sicherheitsstandards, die mit dem technologischen Fortschritt in diesem Bereich mithalten sollen.
Herbert Perus
Fondsmanagement – Corporate Responsibility bei der Raiffeisen KAG
Mathias Zwiefelhofer
Corporate Responsibility bei der Raiffeisen KAG