Science Fiction meets reality: Egal ob der Computer HAL 9000 in A Space Odyssey oder der T-800 in Terminator, die KI war zwar beeindruckend (und hegte stets zweifelhafte Absichten), aber weit entfernt von der Realität. Doch spätestens in den 1990ern nahm die technologische Entwicklung Fahrt auf. KI-Pioniere wie Yann LeCun, Geoffrey Hinton und Yoshua Bengio legten eine Reihe von wissenschaftlichen Grundlagen vor, die ab dem Beginn der 2010er-Jahre schrittweise in immer größeren KI-Trainingsmodellen umgesetzt werden konnten, da mittlerweile die dafür nötige Computerleistung vorhanden war. Die Folge waren bemerkenswerte Durchbrüche wie die KI-trainierte Bilderkennung AlexNet, die 2012 den Bilderkennungswettbewerb ImageNet gewann, oder der dominante Sieg von AlphaGo gegen den besten menschlichen Go-Spieler Lee Sedol im Jahr 2016.
Trotzdem blieb die rasante Entwicklung der breiteren Öffentlichkeit weitgehend verborgen, was vor allem daran lag, dass KI bis dahin nur in Nischenbereichen brillieren konnte. Die Veröffentlichung von ChatGPT 3.5 im November 2022 änderte dies jedoch schlagartig. ChatGPT und vergleichbare Large Language Models (LLM) sind nicht nur intuitiv und (fast) ohne Vorwissen verwendbar, sondern sie liefern auch bemerkenswerte Ergebnisse. So bemerkenswert, dass sie auch wichtige Fragen aufwerfen, die wir in der Folge behandeln wollen.
Was genau ist künstliche Intelligenz?
Unsere Welt ist komplex. Dass KI-Software es schafft, Bilder richtig zu interpretieren, Sprachen zu verstehen und zu übersetzen, den Kontext von Worten und Texten korrekt einzuordnen usw. war vor wenigen Jahren noch undenkbar. Trainierte KI-Software kann aber auf dem Gebiet der Sprache noch viel mehr, wie etwa Gedichte und Witze kreieren und Stile imitieren.
KI-Training basiert auf Mathematik. Der Schlüssel zum Verständnis von KI liegt in neuronalen Netzwerken (NN) und damit letztlich in mathematischen Funktionen. Eine kurze Rückblende in die Schulzeit: Mit Funktionen kann (fast) alles beschrieben werden, sofern die Beziehung von zwei Elementen (Zahlen) zueinander bekannt ist. So zum Beispiel die Schallwellen, die auf unsere Ohren treffen und in unserem Trommelfell als Stimmen und Worte interpretiert werden, oder Lichtstrahlen, die auf unsere Augen treffen und von unserem Sehnerv in Bilder umgewandelt werden. Auch wie man den – gut getarnten – Kopf einer Löwin auf einem digitalen Bild erkennt. Eine solche Funktion ist komplex, aber lösbar für ein NN – sofern genügend Daten zur Verfügung stehen, an denen getestet werden kann.
Neuronale Netzwerke sind universale Funktionsfinder oder genauer gesagt Funktionsannäherer. Das ist so wertvoll, weil anders als etwa bei der Beschreibung eines Dreiecks, wo die bekannte Sinusfunktion herangezogen werden kann, für die meisten Zusammenhänge in der Welt (Bilderkennung, Spracherkennung usw.) keine fertigen Funktionen zur Verfügung stehen. Diese muss das NN in einem (Rechenleistungs-)intensiven Verfahren erlernen, um die nötigen Zusammenhänge herstellen zu können.
Wie gut NN darin sind, Zusammenhänge und Kontext-Verbindungen durch Training herzustellen, war selbst für Expert:innen überraschend. Denn nicht alle Zusammenhänge, die KI-Modelle herstellen und die zu korrekten Ergebnissen führen, sind für uns nachvollziehbar. Mit anderen Worten: Es besteht Grund zur Annahme, dass uns KI dabei helfen kann, (datenintensive) Probleme in Wissenschaft und Forschung zu lösen, weil sie Zusammenhänge erkennt, die uns bislang verborgen geblieben sind. Jeff Bezos sprach in diesem Zusammenhang daher kürzlich davon, dass KI nicht nur als Erfindung anzusehen ist, sondern bis zu einem gewissen Grad auch als Entdeckung. Eine Entdeckung, deren Potenzial noch nicht vollständig erkannt und erforscht ist.
KI, wie hier ChatGPT 4.0, ist nicht programmiert darauf, sofort zu erkennen, wie eine getarnte Löwin aussieht. Das wäre kaum effektiv und auch nicht praktikabel, weil „die ganze Welt“ zu komplex ist, um in eine Software gepackt zu werden – egal wie groß das Programm wäre. Stattdessen erstellt die KI selbst Zusammenhänge (Funktionen) durch eine große Anzahl von Durchläufen (trial, error & feedback) in einem neuronalen Netz.
Warum macht KI auch Angst?
Computer und Handys nutzen wir als Werkzeuge. Dass der technische Fortschritt die Hardware und Software dieser Werkzeuge kontinuierlich weiterentwickelt und verbessert, ist für uns selbstverständlich geworden. Angst macht uns dieser Trend keine. Bei KI ist dies zum Teil anders. Die Vorstellung, dass sich KI, die bereits jetzt beachtliche Leistungen aufweist, in den kommenden Jahren und Jahrzehnten mit einer ähnlichen Geschwindigkeit weiterentwickelt, wie wir es von Halbleitern und Mikroprozessoren gewöhnt sind, löst bei manchen Unbehagen aus.
Dieses Unbehagen ist tief verwurzelt: Bücher und Filme wie Brave New World oder Metropolis, die diese Befürchtungen verarbeiten, stammen sogar noch aus einer Zeit vor den ersten Computern. Trotzdem nehmen sie Themen vorweg, die auch heute mitschwingen, wenn negative Extrem-Szenarien von KI behandelt werden: Steht uns ein Zeitalter bevor, in dem der Mensch von Maschinen dominiert wird? Warum soll ich als Mensch überhaupt noch versuchen, meine Potenziale zu entfalten, meine Grenzen durch viel Einsatz und Engagement zu verschieben, wenn doch die KI schneller, intelligenter, kreativer ist, als ich es je werden könnte.
Aber man muss sich gar nicht auf diese philosophische Ebene begeben, um zu verstehen, dass eine so revolutionäre Technologie wie KI zwangsläufig auch Schattenseiten hat. Einerseits weil unerwünschte Konsequenzen auftreten können, die heute noch nicht absehbar sind. Andererseits weil sie neue Möglichkeiten eröffnet, die auch zu kriminellen oder sonstwie schädlichen Zwecken ausgenützt werden können.
Man könnte sagen, dass wir vor 10–15 Jahren als Gesellschaft auf Social Media ähnlich unvorbereitet waren. In Verbindung mit der Verbreitung von Smartphones hat Social Media unsere Welt stark verändert. In weiten Teilen wohl zum Guten, aber es gab und gibt ohne Zweifel auch eine Vielzahl von negativen Konsequenzen, die direkt aus dieser letzten großen Innovation erwachsen sind oder die von ihr verstärkt wurden. Das Wirkungs- und Veränderungspotenzial von KI ist jenem von Social Media wohl zumindest gleichzusetzen, wenn nicht sogar größer. Entsprechend groß sind die Herausforderungen.
Was vermag KI und wohin könnte die Reise gehen?
Den Kritiker:innen wird entgegengehalten, dass eine der Schlüsselstärken der Menschheit die Anpassungsfähigkeit ist. Von technologischen Sprüngen ausgelöste Übergangsphasen gestalten sich wechselhaft, weil sie große Veränderungen nach sich ziehen. Längerfristig haben wir in der Vergangenheit aber gelernt, vergleichbare Umwälzungen zu managen, uns auf die neuen Möglichkeiten und Gefahren einzustellen und die negativen Aspekte einzudämmen.
Positive Aspekte von KI sind bereits jetzt Wirklichkeit bzw. nahe der Serienreife. Beispiele dafür finden wir in verschiedensten Bereichen:
KI-gestützte Roboter werden zunehmend beim Recycling von Abfall eingesetzt. Die Aufgabe, verschiedene Abfallsorten auf einem Förderband zu erkennen und zu unterscheiden, ist wie gemacht für eine bilderkennende KI.
In der Landwirtschaft entsteht gerade ein Markt für KI-gestützte Roboter. Bildverarbeitungssysteme können zwischen Unkraut und Pflanze unterscheiden, sodass nur das Unkraut vom Roboter besprüht wird. In der sogenannten Präzisionslandwirtschaft gibt es eine Reihe von Start-up-Unternehmen, die sich auf das Pflanzen, Jäten, Bewässern und den gezielten Einsatz von Düngemitteln konzentrieren. Hersteller dieser Systeme geben an, dass das Präzisionssprühen den CO2-Ausstoß reduziert, da bis zu 95 % weniger Herbizide verbraucht werden als durch herkömmliches undifferenziertes Versprühen.
Ein weiteres mögliches Einsatzgebiet für KI sind Schulen. Den Lern- und Förderbedürfnissen von durchschnittlich 25 Kindern mit unterschiedlichen Stärken und Schwächen gerecht zu werden ist für eine Lehrkraft eine große Herausforderung, die nur durch das Eingehen von Kompromissen bewältigbar ist. Oftmals hat dies zur Folge, dass einige Schüler:innen überfordert sind, während sich andere langweilen und nicht so schnell vorankommen, wie sie es unter individuelleren Bedingungen könnten. KI-gestützte Lernprogramme können sich sehr rasch auf das jeweilige Leistungsniveau eines Schülers oder einer Schülerin einstellen. Eine zunehmende Verlagerung der Vermittlung der Lerninhalte hin zu KI-Systemen würde nicht nur den Lernerfolg beträchtlich steigern, sondern spielte auch die Lehrer:innen frei, womit sich diese auf Vermittlung und Festigung der sozialen Fähigkeiten der Schüler:innen konzentrieren könnten. Selbst die Notengebung könnte KI-unterstützt werden, was die Fairness erhöhen sollte. Denn im Gegensatz zu menschlichen Lehrer:innen beurteilt die KI ausschließlich die erbrachte Leistung, frei von Vorurteilen und Schubladendenken.
Zusammenfassend gesagt stellt künstliche Intelligenz eines der wesentlichsten Entwicklungsthemen der unmittelbaren und mittel- bis langfristigen Zukunft dar. Verschiedenste Sektoren der Wirtschaft sind von dem Thema betroffen, vor allem aber die Bereiche Bildung, Marketing und Vertrieb, der kaufmännische Bereich und die industrielle Produktion.
ESG-Bewertung zum Thema KI
„E“ (Environmental): Aus Umweltsicht führt KI zu neuen Möglichkeiten der Analyse vernetzter Datenbanken, wodurch Maßnahmen zum Schutz der Umwelt entwickelt werden könnten. Auf der anderen Seite ist der hohe Energiebedarf vor allem für die (Weiter-)Entwicklung von KI-Modellen ein sehr negativ zu bewertender Faktor.
„S“ (Social): Auf gesellschaftlicher Ebene sind die Potenziale von KI in der Medizin und im Bereich Pharma positiv zu sehen, die KI-bedingte potenzielle Einsparung von Arbeitsplätzen wiegt negativ.
„G“ (Governance): Die Governance-Aspekte sind äußerst vielschichtig, künstliche Intelligenz kann über verbesserte Lösungen im Bereich Kriminalität oder Cyberbedrohungen für mehr Sicherheit sorgen, andererseits ist das Risiko von Datenmissbrauch und diverser Manipulationen als sehr hoch zu betrachten.
Autor
Mag. Leopold Quell, Fondsmanager Raiffeisen Kapitalanlage GmbH
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