Bewertung des Infrastruktursektors gegenüber Gesamtmarkt ist auf niedrigstem Stand seit Jahren

Interview vom 05.05.2024 in Börse Express

Fondsmanager Marc Caretti zur Branche und zum Investmentkonzept des Raiffeisen-NewInfrastructure-ESG-Aktien.

BÖRSE EXPRESS: Globale Infrastrukturaktien blieben 2023 aufgrund steigender Zinsen und einer Verlagerung weg von defensiven Vermögenswerten hinter anderen Anlageformen zurück. Wie erfolgreich waren und sind die Geschäftsmodelle der zugrundeliegenden Unternehmen bzw. wie haben sich die Gewinne der Infrastrukturunternehmen im Vorjahr entwickelt?

Marc Caretti: Es stimmt, dass Infrastrukturaktien im Jahr 2023 gegenüber dem allgemeinen Markt um 20 % schlechter abschnitten, obwohl das durchschnittliche zweistellige Gewinnwachstum bei Infrastrukturaktien gut war. Der Markt hat sich auf andere Sektoren konzentriert und das Aufholpotenzial von Infrastrukturaktien ist sehr attraktiv, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des Risiko-Rendite-Verhältnisses.

Welche Gründe sprechen gerade 2024 für ein Investment in Infrastrukturaktien und welche Rolle sollte so ein Investment im Anleger-Depot spielen?

Nach vielen Monaten und Jahren, in denen sich die Anleger auf eine begrenzte Anzahl von Aktien konzentrierten, entdecken sie allmählich wieder, dass einige Unternehmen eine besonders niedrige Bewertung erreicht haben und aus langfristiger Sicht besonders interessant sind. Ein Beispiel dafür ist eben der Infrastruktursektor, der derzeit mit einem Abschlag gegenüber dem Gesamtmarkt gehandelt wird, der in den letzten Jahren seinen Höchststand erreicht hat. Beispielweise konzentriert sich der Raiffeisen-NewInfrastructure-ESG-Fonds derzeit auf den europäischen Markt und auf kleine und mittlere Unternehmen, deren relative Bewertung sowohl im Vergleich zum US-Markt als auch im Vergleich zu Large Caps seit Jahren auf einem Tiefpunkt angelangt ist. Infrastrukturaktien gelten in konjunkturell schwierigen Zeiten als relativ stabil, sie sind weniger volatil und bringen Diversifizierung in ein Portfolio. Aufgrund stabiler und vorhersehbarer Cashflows können die Unternehmen attraktive Dividendenrenditen anbieten. Infrastruktur wird grundsätzlich immer benötigt. Sie hat Grundversorgungscharakter und ist vergleichsweise unabhängig von der Entwicklung kurzfristiger Marktzyklen. Die Nachfrage nach Wasser- und Stromversorgung, Bau und Unterhalt von Verkehrswegen oder Telekom-Dienstleistungen ist relativ konstant.

Der bereits vorher erfolgreiche Infrastruktur-Aktienfonds der Raiffeisen investiert seit Juni 2023 noch nachhaltiger und führt ein noch aktiveres Engagement mit den Unternehmen. Dies hielt auch im neuen Namen "Raiffeisen-NewInfrastructure-ESG-Aktien" Einzug. Warum war es notwendig, den Fonds noch nachhaltiger zu gestalten?

Die Raiffeisen KAG stellt bereits seit einigen Jahren ihre Fondspalette nach und nach auf nachhaltige Investments um. Das erfordert zuweilen umfangreiche Vorarbeiten und lässt sich daher nicht schlagartig für alle Fonds auf einmal durchführen. Für den Infrastruktur-Aktienfonds war es Mitte 2023 so weit. Der Fonds beinhaltete schon davor einen starken Nachhaltigkeitsaspekt, weil Infrastruktur der Schlüssel zu einer nachhaltigeren, weniger klimaschädlichen, umweltschonenderen und gesünderen Welt ist. Er hat aber nicht durchgängig nachhaltig investiert. Infrastruktur und Investments in Infrastruktur sind ja nicht automatisch immer nachhaltig. Man denke an Autobahnen mit Benzintankstellen oder Ölpipelines. Zum anderen ist auch das Errichten nachhaltiger Infrastruktur bis auf weiteres kaum möglich ohne das Zutun von nicht-nachhaltig oder weniger nachhaltigen Unternehmen bzw. Branchen, zum Beispiel Öl- und Kohlelieferanten, Kupfer- und Eisenerzminen, Stahlund Zementwerke usw. Und selbst nachhaltig wirkende Infrastruktur, wie beispielsweise Windräder, sind bei Herstellung und Entsorgung derzeit längst noch nicht so ressourcenschonend und umweltverträglich, wie es wünschenswert ist. Verantwortungsvolles Wirtschaften ist ein Prozess und selbst beim besten Willen nicht im Handumdrehen zu verwirklichen.

Daher setzt der Raiffeisen-NewInfrastructure-ESG-Aktien auf eine Mischung aus Negativkriterien (Ausschluss bestimmter Branchen und Unternehmen, beispielsweise Kohle, Unternehmen die Menschen- und Arbeitsrechte verletzen), ESG-Mindest-Ratings für die Aktien im Fonds und aktiver Einflussnahme und Kommunikation durch das Fondsmanagement gegenüber den Unternehmen im Fondsportfolio. Wir können dabei auf unsere langjährige Expertise in nachhaltigem Investieren und im aktiven Dialog mit Unternehmen zurückgreifen.

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Der Infrastruktur-Sektor ist in sich sehr diversifiziert. Welche Branchen/Bereiche schätzen Sie besonders vielversprechend ein und warum?

Nach einem übertriebenen Hype um die erneuerbaren Energien haben diese nun ein Bewertungsniveau erreicht, das sehr attraktiv ist. Ein bezeichnendes Beispiel ist die Übernahme von Encavis (Stromerzeuger aus dem Bereich erneuerbare Energien) in Deutschland durch den KKR-Fonds mit einem Aufschlag von 44 %. Aus den bekannten Gründen ist der Sektor der erneuerbaren Energien zukunftsträchtig und auf Dauer angelegt. Wichtig ist, einen attraktiven Einstiegspunkt für die Bewertung zu finden. Ein weiteres zukunftsträchtiges Thema ist der Megatrend digitale Infrastruktur. Dieser Bereich wird kontinuierlich an Bedeutung gewinnen und ist entscheidend für die Unterstützung zum Beispiel von Cloud Computing, künstlicher Intelligenz, Internet der Dinge, E-Commerce und digitalen Zahlungen. Unternehmen in den Bereichen Datenzentren oder Cybersicherheit sind Beispiele dafür.

Welche Chancen sehen Sie bei Infrastrukturaktien der Schwellenländer bzw. wie ist der Raiffeisen-NewInfrastructure-ESG-Aktien regional gewichtet und warum?

Unternehmen aus Schwellenländern machen derzeit rund 20 Prozent vom Infrastruktur-Universum aus und sind damit deutlich stärker präsent als in einem allgemeinen globalen Portfolio. Zum einen zeigt sich dabei der Aufholbedarf der Schwellenländer bei Infrastrukturinvestitionen, zum anderen haben manche Schwellenländer diverse Infrastrukturgenerationen übersprungen und sind zu einem Vorreiter bei Telekommunikation und Digitalisierung geworden.

Auch innerhalb der Schwellenländer haben sich daher deutliche Verschiebungen bei den Ländergewichten ergeben: Der bedeutendste Infrastrukturmarkt ist Indien mit einem Anteil von rund 20 %, wobei mit Bharti Airtel ein Telekommunikationsunternehmen das Schwergewicht ist. China ist „nur“ auf dem zweiten Platz mit ca. 12,58 %, wobei hier u. a. Unternehmen aus dem Bildungssektor eine größere Rolle als sonst üblich spielen. Zu Bedenken ist hierbei jedoch, dass diverse Infrastrukturunternehmen aus China (z. B. China Mobile) von politischen Auseinandersetzungen mit den USA betroffen sind. So liegt China nur knapp vor Brasilien und Saudi-Arabien mit jeweils gut 10 %, wobei in ersterem Stromversorger und in letzterem Telekommunikationsunternehmen die Hauptsektoren sind.

Stefan Grünwald zum Zukunfts-Thema "Infrastruktur"

Stefan Grünwald, Fondsmanager bei Raiffeisen Capital Management, liefert Einsichten zum Wandel der Infrastruktur und gibt Antworten auf die Fragen, ob Infrastruktur ein lohnendes Investitionsthema für Anleger:innen ist und welche Megatrends für die Infrastruktur interessant sein könnten.

Von welchen Bereichen/Branchen lassen Sie aktuell im Raiffeisen-NewInfrastructure-ESG-Aktien lieber die Finger und warum?

Wir wollen keinen bestimmten Sektor oder Bereich meiden, es gibt immer interessante Investitionsmöglichkeiten in jedem Sektor. Es ist alles eine Frage der Geduld, allerdings dauert es bei manchen Investitionen länger, bis sie sich auszahlen, als bei anderen.

Angriffe auf Infrastruktur häufen sich scheinbar, etwa durch Cyber-Attacken oder militärische Konflikte. Stimmt der Eindruck und wie wirkt sich dies auf die Bewertung aus?

Ja, es gibt einen zunehmenden Trend zu Angriffen auf kritische Infrastrukturen wie Stromnetze, Wasser- und Energieversorgungssysteme oder Raffinerien. Es ist schwierig, kritische Infrastrukturen vor militärischen Konflikten zu schützen, aber man kann die Auswirkungen von Cyberangriffen durch die Implementierung von Cybersicherheitsmaßnahmen eliminieren oder deutlich reduzieren. Das Thema der digitalen Infrastruktur, das wir neu implementiert haben, berücksichtigt dieses Problem und wir haben uns entschieden, auch in Unternehmen zu investieren, die mit Cybersicherheit zu tun haben. Ein erfolgreicher Cyberangriff hat allerdings unmittelbare Auswirkungen auf die Bewertung und den Preis der Aktie. Anleger reagieren sehr empfindlich auf solche Ereignisse, sowohl was die Kosten für das Unternehmen als auch den Reputationsverlust angeht.

Wie erfolgt der Investment- bzw. Auswahlprozess im Raiffeisen-NewInfrastructure-ESG-Aktien konkret?

Wir haben verschiedene Zukunfts-Themen identifiziert, darunter auch Infrastruktur. In diesem Bereich spielen unter anderem Energiewende, Digitalisierung, Mobilitätsthemen, Urbanisierung oder auch Demographie eine wichtige Rolle. Der Fonds fokussiert sich zumeist auf solche Aktien. Das Anlageuniversum konzentriert sich zudem auf alle Unternehmen, die von den verschiedenen Infrastrukturpaketen profitieren werden. Ein sehr wichtiger Punkt ist die Bewertung von Unternehmen, der Fonds möchte in Qualitätsunternehmen investieren, die ein erhebliches Wertsteigerungspotenzial haben.

Welche Investments haben in den vergangenen Monaten den größten Beitrag zur Fonds-Performance geliefert und warum bzw. welche sind die aussichtsreichsten Titel in den kommenden zwölf Monaten und warum?

Seit Anfang des Jahres waren die drei Aktien mit dem größten Beitrag in Euro: Bharti Airtel (+34 %), Rubis (+44 %) und Siemens Energy (+48 %).

Bei Bharti Airtel (Telekommunikationsunternehmen) ist der Grund, dass der indische Markt immer mehr von nur zwei Playern dominiert wird (Reliance Jio und Bharti), nachdem der dritte große Anbieter Vodafone Idea große finanzielle Probleme hat und dadurch laufend Marktanteile verliert. Weiters konnten Bharti und auch Reliance Jio zuletzt mehrmals die Preise erhöhen, was sich sehr positiv auf die Free Cashflow-Generierung auswirkt, noch dazu sind die Preislevels (ARPU) in Indien generell eine der niedrigsten der Welt. Das heißt, es gehen alle Marktteilnehmer davon aus, dass die Preise weiter angehoben werden.

Bei Rubis (beliefert Kunden mit Kraftstoffen, Schmierstoffen, Flüssiggas, Bitumen und anderen Derivaten, hauptsächlich u. a. in den Bereichen Transport, Infrastruktur, Hotel, Luftfahrt, Schifffahrt und ist auch im Bereich der erneuerbaren Energien engagiert) gab es nach guten Nachrichten über die Ergebnisse 2023 und den Verkauf der Beteiligung an Rubis Terminal, eine weitere positive Bekanntgabe: zwei größere Investoren, darunter der französische Unternehmer und Milliardär Vincent Bolloré, haben eine Beteiligung von 5 % oder mehr erworben. Die Aktie war in Vergessenheit geraten und zu günstig bewertet.

Siemens Energy wiederum hat mit guten Zahlen überrascht, die enormen Probleme im Windbereich scheinen einen Tiefpunkt erreicht und das Management wieder etwas Vertrauen bei den Anlegern gewonnen zu haben.

Unternehmen wie Oracle oder Cisco werden derzeit ein wenig von den Investoren vernachlässigt, bieten aber Chancen in Bereichen wie künstliche Intelligenz oder Cybersicherheit und eine günstige Bewertung.

Tipp: Weiterführende Informationen zur Infrastruktur finden Sie auch unter investment-zukunft.

Der Raiffeisen-NewInfrastructure-ESG-Aktien weist eine erhöhte Volatilität auf, d.h. die Anteilswerte sind auch innerhalb kurzer Zeiträume großen Schwankungen nach oben und nach unten ausgesetzt, wobei auch Kapitalverluste nicht ausgeschlossen werden können.

Dieser Inhalt ist nur für institutionelle Anlegerinnen und Anleger vorgesehen.

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